Zwei Arten von rein/unrein-Unterscheidungen

 

Grundlage für jede Diskussion über die Unterscheidung von rein/unrein ist die Tatsache, dass das Alte Testament zwei klar definierte Arten von Unreinheit kennt. Die eine Art von Unreinheit ist permanent (bleibend), nicht rituell, nicht kultisch und nicht zeremoniell im Wesen und Zweck; die andere Art ist eindeutig rituell, kultisch und zeremoniell im Wesen und Zweck und in der Gestaltung.

 

Im Fall der ersten Art von Unreinheit, die nicht zeremoniell ist, ist die Unreinheit permanenter Natur und deshalb kann sie keine Handlung, kein Ritual oder Handeln aufheben. Die andere Art von Unreinheit, die zeremonieller Natur ist, ist klar und deutlich eine Unreinheit, für die eine Art rituelle oder kultische Handlung vorgeschrieben ist, weil sie eine Beseitigung, eine Aufhebung erfordert. Es ist eine anhaftende oder erworbene Unreinheit durch irgendjemand oder irgendetwas, das vorher rituell und kultisch gesehen rein war. Die rituelle, kultische Unreinheit ist zeitlicher Natur und die Person oder die Sache, die unrein geworden ist, benötigt eine Reinigung. Zu dieser wichtigen Unterscheidung zwischen permanenter, nicht kultischer, nichtritueller, nicht-zeremonieller Unreinheit und zeitlicher, kultischer, ritueller, zeremonieller Unreinheit werden wir gleich zurückkehren. (6)

 
 

Es muss beachtet werden, dass es im 3. Buch Mose Teile gibt, die außerhalb des Rahmens ritueller/kultischer Verordnungen stehen, wie der größte Teil von 3. Mose 17-18 und 26- 27. (7) Das 3. Buch Mose enthält beides: zeremonielle/rituelle und moralisch-universelle Gesetze! Die Annahme, dass alles Material im 3. Buch Mose zeremonieller Natur sei, kann kaum aufrechterhalten werden.

Wie in der nachfolgenden Diskussion gezeigt wird, handelt es sich in 3. Mo 11-15 um eine neue Themengruppe, innerhalb dieses Buches; 3. Mo 11, 2-23 steht am Anfang dieser größeren Themengruppe, die sich mit verschiedenen reinen und unreinen Dingen befasst, die nicht alle automatisch ritueller/kultischer Natur sind. Dies mahnt den gewissenhaft Studierenden, in Bezug auf Unterscheidungen in Sachen rein und unrein, mit Feingefühl zu reagieren. Feingefühl in Bezug auf diese Unterscheidungen ist wesentlich und erfordert gründliches Abwägen.

Am Anfang des vorhergehenden Abschnitts ist bereits festgestellt worden, dass es zwei Arten von rein/unrein-Unterscheidungen gibt. (8) Diese Unterscheidungen sind grundlegend für jegliches Verständnis von Reinheit und Unreinheit in der Bibel. (9) Aufgrund des gesamten biblischen Zeugnisses muss als erstes angenommen werden, dass es eine generelle Reinheit gibt, die allen Menschen, den meisten Tieren und allen Dingen eigen ist. Unter gewissen Umständen kann das, was an sich rein ist, Unreinheit annehmen und so unrein werden. Die erworbene Unreinheit entsteht durch Kontakte mit Leichnamen (3. Mo 11, 29-40; 4. Mo 19, 11-17), körperliche Ausflüsse (3. Mo 15, 2-28) und menschliche Hautkrankheiten, gewöhnlich als Aussatz bezeichnet (3. Mo 13-14) usw. (10) Diese erworbene Unreinheit ist kultisch oder zeremoniellen Art in dem Sinne, dass sie einer Sache anhaftet, die vorher rein war; sie macht das, was rein war, unrein.

Die so erworbene Unreinheit erfordert deshalb eine Beseitigung durch eine gewisse rituelle Vorschrift, die von Gott bestimmt wurde. Im Fall von Aussatz gab es ein wohldurchdachtes Reinigungsritual, das Waschen und/oder Baden und Opferdarbringungen einschloss (3. Mo 14, 1-32). Im Fall erworbener Unreinheit, die durch Berührung eines Leichnams entstand, gab es das Waschen der Kleider und das Warten bis zum Abend (3. Mo 11, 24-28, 38-39). Die erworbene Unreinheit durch Berührung eines Leichnams dauerte sieben Tage (4. Mo 19, 11). Um von dieser erworbenen Unreinheit rein zu werden, musste sich die befleckte oder unreine Person mit der Asche einer besonders zubereiteten roten Kuh und mit fließendem Wasser aus einem Gefäß reinigen (4. Mo 19, 1-19). Andere Vorschriften für die Beseitigung anhaftender oder erworbener Unreinheit können leicht über diese hier zitierten Beispiele hinaus aufgelistet werden.

Die Beispiele erworbener/anhaftender Unreinheit, auf die wir hingewiesen haben, veranschaulichen zur Genüge, dass erworbene Unreinheiten gewisse rituelle oder kultische Handlungen erfordern oder eine Kombination von Handlung(en) und Zeit, durch die erworbene/anhaftende Unreinheit zeremoniell beseitigt und Reinheit wiederhergestellt werden kann. Diese Art erworbener Unreinheit ist ritueller und kultischer Natur und Teil dessen, was als "Zeremonialgesetz" bezeichnet wird. Für ihre Beseitigung ist eine rituelle Zeremonie erforderlich. Die göttliche Vorschrift mit ihrer rituellen und kultischen Absicht und Gestaltung ist Teil des Zeremonialgesetzes.

  1. Wir wollen nun die andere Art von Unreinheit, die nicht erworben und deshalb nicht rituell oder zeremoniell ist, im Detail untersuchen. (11) Diese Unreinheit ist nur bestimmten Tieren eigen oder ist ererbt. Diese Tierarten werden in der Bibel "unrein" genannt. Wir wollen noch spezifischer werden. Die unreinen Tiere in 3. Mo 11, 2-23 sind nicht unrein wegen einer erworbenen/anhaftenden Unreinheit. Sie sind nicht durch den Kontakt mit etwas Unreinem unrein geworden, so wie es für die erworbene Unreinheit kennzeichnend ist, die im Wesen zeremonieller Natur ist. Sie sind als solche unrein. Sie werden von Gott als "unrein" (tame') und/oder "verabscheuenswert" (sheqets) erklärt. (12) In diesem Sinne können wir von einer erklärten Unreinheit sprechen. Die durch Gott festgelegte und erklärte Unreinheit spielt nur hinsichtlich der Tiere eine Rolle, die als Speise unakzeptabel sind, sonst aber in keiner Weise.
  2. Eine zweite Beobachtung ist von gleicher Wichtigkeit. Die angeborene und ererbte oder festgelegte und erklärte Unreinheit ist eine Unreinheit, die nie durch eine rituelle oder kultische Handlung beseitigt werden kann, wie sie im Zeremonialgesetz typisch ist. Sie wird niemals durch Zeit oder die Kombination mit einer kultischen Handlung, d. h. durch Rituale und Zeit beseitigt, wie im Falle der rituellen/kultischen Unreinheit, die einer Sache anhaftet, die ursprünglich rein war. Mit anderen Worten: Es gibt keine Möglichkeit, angeborene und nichterworbene Unreinheit durch Kochen, Waschen, Opfer, Beachten von Zeitspannen oder durch sonstige Aspekte zu beseitigen. Weder eine dieser Handlungen noch eine Kombination derselben machen ein unreines Tier rein. Dies macht deutlich, dass die Unreinheit unreiner Tiere anderen Ursprungs ist und einem anderen Zweck dient im Vergleich zu dem, was im Zeremonialgesetz kultisch und rituell unrein ist. Die rituelle und kultische Unreinheit wird durch jemand oder etwas erworben, der/das vorher nicht unrein war und bedarf deshalb einer gewissen angemessenen rituellen/kultischen Handlung, um den vorherigen reinen Status wiederzuerlangen. Im Gegensatz dazu ist angeborene oder ererbte Unreinheit permanent und nicht zu beseitigen. Sie bedarf keiner zeremoniellen, reinigenden Handlung; falls eine solche durchgeführt würde, würde diese den Status der unreinen Tiere nicht verändern. Unreine Tiere sind unrein und bleiben unrein. Die Unreinheit der Tiere, in Bezug auf deren Verzehr, ist die Ordnung göttlicher Zuweisung.
  3. Eine dritte Beobachtung, hinsichtlich der nichterworbenen Unreinheit von Tieren in 3. Mo 11, ist angebracht. Die ererbte Unreinheit in lebenden Tieren kann nicht auf jene übertragen werden, die mit unreinen Tieren in Kontakt kommen. (13) Die Nichtübertragbarkeit der ererbten Unreinheit macht deutlich, dass diese Unreinheit von anderer Natur ist als die zeremonielle, rituelle und kultische Unreinheit, die übertragbar ist. Diese Tatsache unterscheidet sich von gewissen anderen alten Kulturen bei den israelitischen Nachbarn. (14) In Israel verursachte nur der Kadaver toter Tiere, ganz gleich, ob rein oder unrein, Unreinheit bei einem Kontakt; aber kein lebendes Tier, ob rein oder unrein, verursacht Unreinheit bei Menschen. Wäre die Unreinheit lebender Tiere kultischer oder ritueller Natur, dann müsste es eine kultische oder rituelle Übertragung der Unreinheit auf Personen oder Sachen geben, die in Kontakt mit solchen Tieren kommen. Dies ist aber nicht der Fall. Deshalb besteht kein Bedarf für eine Vorschrift zur Beseitigung der Verunreinigung/Unreinheit, verursacht durch lebende, unreine Tiere. Kurz gesagt, die Nichtübertragbarkeit der Unreinheit von lebenden, unreinen Tieren scheint deutlich zu machen, dass die Unreinheit von Tieren anderer Art hier anderen Typs ist als die rituelle, zeremonielle Unreinheit, d. h. sie ist nicht kultisch und nicht rituell im Vergleich zu irgendeiner erworbenen rituellen, kultischen Unreinheit an anderer Stelle im alttestamentlichen Zeremonialgesetz.

Angesichts dieser Unterscheidungen können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

  1. Es gibt eine rituelle/kultische Unreinheit, die erworben ist und eine Beseitigung durch ein bestimmtes Ritual erfordert (mit oder ohne Zeitfaktor), so wie es im Zeremonialgesetz vorgeschrieben ist.
  2. Es gibt im Gegensatz dazu auch eine nicht-rituelle, nicht-kultische Unreinheit, die erworben d. h. jenen Geschöpfen angeboren und innewohnend ist, die als unrein festgelegt und erklärt sind; diese Unreinheit ist in ihrem Wesen und Zweck nicht-zeremoniell.
  3. Die ererbte Unreinheit kann nicht beseitigt werden. Sie ist permanent. Für ihre Beseitigung ist keine Handlung und auch kein Ritual vorgesehen, da sie anderen Ursprungs und anderer Natur ist und einem anderen Zweck dient.
  4. Die nicht-rituelle, nicht-kultische Unreinheit eines lebenden Tieres verunreinigt nicht und verursacht weder kultische noch andere Unreinheiten; dies weist erneut darauf hin, dass sie von nicht-kultischer Natur ist und damit ist sie kein Teil des Zeremonialgesetzes. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis können wir festhalten, dass die angeborene und ererbte oder festgelegte und erklärte Unreinheit sowohl anderen Ursprungs ist als auch eine andere Natur besitzt und einen anderen Zweck verfolgt als die erworbene, rituelle, zeremonielle Unreinheit. Beide sind von ihrem Ursprung, von ihrem Zweck und ihrer Art her radikal verschieden. Sie können nicht gleichgesetzt werden. Jede hat ihre eigene Bestimmung und ihre Bedeutung. Jede von ihnen hat eine andere Funktion.